Stellungnahme des Klima-Beirates

zum Klimabericht 2020-2022

Geposted von " Klima-Beirat Göttingen " am Saturday, July 8, 2023

Inhalt

Vorbemerkung:

Mit dem Klimabericht beschreibt die Stadtverwaltung ausführlich den aktuellen Stand aller Maßnahmen im Bereich Klimaschutz und Klimafolgenanpassung und berichtet über die Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen und den Stand der Zielerreichung auf dem Weg zur Klimaneutralität der Stadt Göttingen. Der Klima-Beirat hat die Aufgabe, die Politik und die Verwaltung bei der Umsetzung des Klimaplans 2030 zu beraten, um das Ziel Klimaneutralität baldmöglichst zu erreichen. Dem Klima-Beirat ist hierbei bewusst, dass es personelle und materielle Sachzwänge gibt, die die Lösung auch drängender Probleme verzögern. Da es sich bei der Bewältigung der Klimakrise um eine existentielle Bedrohung handelt, sieht der Klima-Beirat Verwaltung und Politik in der Pflicht, diese Sachzwänge aufzulösen und Lösungen anzubieten. Die Rolle des Klima-Beirats als beratendes Gremium muss darin bestehen, die Klimaziele für Göttingen klar zu definieren, auf Probleme in deren Erreichen unentwegt und engagiert hinzuweisen, Hindernisse klar zu benennen, ihre Beseitigung einzufordern und begleitend die nötige Transformation der Gesellschaft zu befördern. Hierzu dient die folgende Stellungnahme, gerichtet an Verwaltung und Politik.

Klima-Beirat Göttingen

Stellungnahme des Klima-Beirates zum Klimabericht

Der Klima-Beirat begrüßt die nun jährlich erfolgende Herausgabe eines Klimaberichtes der Stadt Göttingen, in dem der jeweilige Stand aller Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung dargestellt werden soll. Auch das dafür eingeführte Controlling der Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen (THG) ist ein wichtiger Schritt; allerdings müssen hier aktuellere Zahlen vorgelegt werden, um zeitnaher reagieren zu können (derzeit: Zahlen aus 2020 im Jahr 2023).

Der erste Klimabericht 2020-2022 ist übersichtlich und gut lesbar aufgebaut; allerdings bezieht er sich stets auf den Klimaplan 2030, der als Ziel Klimaneutralität bis 2045 hatte. Der aktuelle Ratsbeschluss vom Dez. 2021 sieht jedoch als Ziel Klimaneutralität bis 2030 vor. Deshalb müssen sowohl im Klimaplan als auch im Klimabericht die Bewertungen und Zwischenziele entsprechend angepasst und mit klaren Zielangaben versehen werden.

Im Text des Klimaberichtes wird in den einzelnen Kapiteln richtigerweise sehr deutlich hervorgehoben, dass in nahezu allen Bereichen beim derzeitigen Tempo der Maßnahmenumsetzungen die Klimaziele nicht erreicht werden. Verwirrend ist dagegen die Darstellung des Stands der Maßnahmenumsetzungen in den verschiedenen Themenfeldern. Hier wird mit einer Ampel-Bewertung (grün: Fortschritte erzielt, Teilziele erreicht; gelb: Bearbeitung/Umsetzung in Vorbereitung; rot: Bearbeitung/Umsetzung zurückgestellt) der Eindruck erweckt, das vieles im grünen Bereich liegt. Allerdings bezieht sich die Bewertung nicht auf die Klimaziele, sondern lediglich auf den Umsetzungsstand der Leitprojekte und Maßnahmen. Diese Darstellungsweise sollte in Zukunft geändert bzw. um eine Bewertung bezogen auf die Klimaziele ergänzt werden. Eine ehrliche Kommunikation über Fortschritte, Rückschritte und Stagnation im Bereich Klima und Nachhaltigkeit erscheint uns außerordentlich wichtig, auch um die Stadtöffentlichkeit in dem Prozess mitzunehmen. Dabei muss auch deutlich gemacht werden, dass zur Erreichung der Klimaziele die Mitwirkung der BürgerInnen in vielen Bereichen von entscheidender Bedeutung ist.

An vielen Stellen des Klimaberichts wird darauf hingewiesen, dass Projekte und Maßnahmen nicht oder nur verzögert umgesetzt werden konnten, weil in der Verwaltung Personal fehlt. Der Klima-Beirat hat in den letzten Jahren immer wieder mehr Personal in verschiedenen Bereichen gefordert. Leider hat die Politik bei den Haushaltsberatungen keine Konsequenzen daraus gezogen. Der Klima-Beirat ist der festen Überzeugung, dass für die Erreichung der Klimaziele mehr Personal in der Verwaltung und externe Fachberatung erforderlich ist. Zu den 7 Handlungsfeldern des Klimaberichts nimmt der Klima-Beirat wie folgt Stellung:

Die gesamt-städtische Sanierungsrate muss 4% pro Jahr betragen, um die Ziele des Klimaplans 2030 (klimaneutral 2045) einhalten zu können; beim Ziel klimaneutral 2030 müsste die nötige Sanierungsrate noch deutlich höher sein. Da die Sanierungsrate nicht erfasst werden kann, ist eine indirekte Abschätzung nur über den Wärmeverbrauch möglich. Dieser hat jedoch bisher nur geringfügig abgenommen. Es ist also davon auszugehen, dass die Sanierungsrate in Göttingen noch zu gering ist.

Leider wird erst in diesem Jahr das erste, vom Bund bezuschusste „Modellquartier energetische Sanierung“ ausgewiesen; dies war laut Klimaplan schon für 2021 geplant. Umso wichtiger ist es daher, dass hier – wie im Klimaplan vorgesehen – jedes Jahr zwei weitere Quartiere dazukommen. Dafür ist der Antrag auf Bundesmittel zu stellen und Personal einzustellen. Auch die geplante „Aufsuchende Sanierungsberatung“, die in anderen Städten mit unterschiedlichen Kampagnen sehr erfolgreich war, befindet sich offenbar in unserer Stadt noch ganz am Anfang. Der Klima-Beirat empfiehlt hier einen unbedingten Ausbau.

Ein weiterer wesentlicher Baustein zur Steigerung der privaten Investitionen bei der Gebäudesanierung, der Heizungsumstellung auf Wärmepumpen und dem Dachphotovoltaikausbau ist die Steigerung des Angebotes an Energieberatung. Die Energieagentur leistet dazu einen essentiellen Beitrag und muss personell und finanziell gestärkt werden Im Bereich Neubau sind bereits ambitionierte Hochbaustandards für städtische Gebäude beschlossen, was der Klima-Beirat ausdrücklich begrüßt. Um auch die privaten Investoren in die Pflicht zu nehmen, müssen zukünftig alle Neubaugebiete klimaneutral geplant werden.

Im Handlungsfeld „Arbeiten und Wirtschaften“ werden die nötigen Maßnahmen für den Konzern Stadt, die Universität und alle Unternehmen zusammengefasst.

Die Universität ist für mehr als 11 % der Emissionen in der Stadt verantwortlich. Im Klimabericht wird der Bereich Universität als nicht quantifizierbar oder bewertbar dargestellt, obwohl die Universität im Klimaberat mitarbeitet, und einen eigenen Klimaplan hat, der sich in der Umsetzung befindet. Deshalb sollte die Universität als einstige Trägerin des Masterplans Klimaschutz 100 % gebeten werden, zu den Klimaberichten der Stadt einen kurzen Erfolgsbericht zur Umsetzung des eigenen Klimaplans beizusteuern.

Da die gewerblichen Großverbraucher mit 37 % der THG-Emissionen für den größten Teil der Emissionen der Stadt verantwortlich sind, ist hier ein besonders hoher Handlungsbedarf. Alle Leitprojekte in diesem Bereich sind erst in Bearbeitung oder in Vorbereitung. Deshalb ist eine zügige Bearbeitung aller Projekte in Kooperation mit der GWG und der Südniedersachsen-Stiftung dringend geboten. Auch sollte das Leitprojekt „Modell klimafreundliches Gewerbegebiet“, als aktuelles Leitprojekt definiert und in Angriff genommen werden.

Für den Bereich Energie erzeugen aus erneuerbaren Energien enthält der Klimaplan 2030 sehr konkrete Aussagen zum Zubaubedarf an PV- und Windkraftanlagen. Selbst bezogen auf das alte Klimaziel 2045 klimaneutral ist Göttingen beim PV-Ausbau weit entfernt von der nötigen Zubaugeschwindigkeit, die verachtfacht bzw. verzwanzigfacht (klimaneutral 2030) werden müsste. Es ist zu begrüßen, dass die beiden ersten B-Planverfahren für große Freiflächen-PV-Anlagen auf den Weg gebracht sind; allerdings müssen weitere Verfahren zügig begonnen und die angekündigte Verfahrensgeschwindigkeit (1,5 Jahre pro B-Plan) deutlich erhöht werden. Dafür ist dringend mehr Personal nötig.

Im Bereich der Wärmeversorgung gibt es einige gute Ansätze mit dem Ausbau des Fernwärmenetzes, der geplanten Nutzung der Abwärme bei Refra-Technik und an der Kläranlage sowie dem Biowärmezentrum. Allerdings fehlt für Göttingen weiterhin ein Gesamtkonzept für die Reduktion der Emissionen in dem Sektor Wärme. Diese sogenannte Wärmeleitplanung, die u.a. Gebiete mit zukünftiger Fernwärmeversorgung festschreibt und Möglichkeiten der Abwärmenutzung aufzeigt, ist von überragender Bedeutung für alle Entscheidungen zur Heizungswahl bzw,.-Umstellung und ist durch das Landesklimagesetz und bald auch durch das Gebäudeenergiegesetz („Heizungsgesetz“) vorgeschrieben. Sie muss nun zügig vorangetrieben werden.

Da der Gebäudesektor einen hohen Anteil an den THG-Emissionen verursacht und lange Wartelisten bestehen, müssen die Beratungskapazitäten für Energie-, Sanierungs- und Heizungsberatung deutlich ausgebaut werden..

Für den Bereich Mobilität stellt neben dem Klimaplan 2030 mit nur wenigen aufgelisteten Projekten vor allem der Klimaplan Verkehrsentwicklung, der Radentwicklungsplan und in Teilen der Nahverkehrsplan den Handlungsrahmen dar. Die im sogenannten Combi-Szenario dargestellten Maßnahmen und Ziele im Klimaplan Verkehrsentwicklung von 2015 sollten zu einer Reduktion der CO2-Emissionen aus dem Verkehr von 38 % bis 2025 führen. Tatsächlich sind die Emissionen in diesem Bereich von 1990 bis heute sogar noch leicht gestiegen; die Ziele werden also drastisch verfehlt.

Der Klima-Beirat hält deshalb eine erhebliche Beschleunigung der Maßnahmen im Verkehrsbereich für dringend geboten!

Das bedeutet im Bereich Radverkehr eine massive Beschleunigung der Umsetzung des Radverkehrsentwicklungsplans (beim jetzigem Tempo und jetziger Geldbereitstellung dauert die Umsetzung nach Aussage der Verwaltung 50 Jahre), und die Auswertung und Berücksichtigung der schlecht bewerteten Themenfelder im ADFC-Fahrrad-Test. Weitere Vorschläge finden sich in dem vor einem ¾ Jahr eingebrachten Ratsantrag des Klima-Beirates zu Maßnahmen im Radverkehr, der noch auf seine Beratung wartet.

Im Bereich ÖPNV wurde die schon 2015 im Klimaplan Verkehrsentwicklung für nötig befundene Taktverdichtung trotz Drängens des Klima-Beirates nicht zügig angegangen. Erst 2022 wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, so dass frühestens 2027 mit konkreten Umsetzungen begonnen werden kann. Neben den begonnenen Schritten zur Taktverdichtung und Liniennetzverbesserung sowie dem On-Demand-Angebot muss vor allem die Verbesserung der Infrastruktur für den Busverkehr (Busspuren, Busvorrangregelungen, Betriebshof, Baustellenplanung etc.) und das Fahrpersonalproblem schnell angegangen werden.

Im Bereich Individualverkehr ist die Parkraumbewirtschaftung mit entsprechenden Zonenausweisungen und Parkgebührenregelungen voranzutreiben, damit das Busfahren billiger als das Autofahren wird. Modellversuche zur Neuaufteilung des Straßenraums zugunsten des Fuß-, Rad- und Busverkehrs (Busspuren, verkehrsberuhigte Zonen, Fahrradstraßen etc.) sollten zügig durchgeführt werden. Die Ladeinfrastruktur für E-Autos muss mit Hochdruck ausgebaut und die Mobilitäts-App vorangetrieben werden.

Wichtig ist weiterhin,dies mit einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit zu begleiten. Es ist zu vermitteln, dass die Transformation des Verkehrssektors nicht mit Einschränkungen in der persönlichen Mobilität einhergeht.

Dem Handlungsfeld nachhaltig leben wird aus Sicht des Klima-Beirates keine ausreichende Wertigkeit beigemessen. Dies zeigt sich u.a an nur wenigen oder gar keinen Sofort-maßnahmen oder Leitprojekten bei den Themen des Handlungsfeldes. Es fehlen zudem Messbarkeitskriterien, diese sollten für das Handlungsfeld erstellt werden. Auch sollten klarere Zielsetzungen und Etappenziele für diesen Bereich formuliert werden, .um besser Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität von Beginn an erkennen zu können.

Ähnliche Kritikpunkte wie im Themenfeld Nachhaltig leben sieht der Klima-Beirat im Themenfeld Transformation. Die Reduktion auf lediglich zwei Handlungsfelder steht in keinem angemessenen proportionalen Verhältnis zur gesamten Bandbreite und dem Einflussbereich, den dieser Handlungsbereich umfasst. Aus einer umweltpsychologischen Perspektive besteht hier die Gefahr, dass diese Begrenzung fälschlicherweise den Eindruck erwecken könnte, dass Klimaaktivismus und Veränderung des Denkens weniger bedeutsam sind, als Maßnahmen zur direkten Reduktion der CO2 -Emission.

Der Klima-Beirat schlägt daher vor, weitere Handlungsfelder wie „Erwachsenenbildung“ im Themenbereich “Transformation” zu entwickeln, um eine differenziertere Bewertung der Fortschritte zu ermöglichen. Bildung und Information sind essenziell, um die gesellschaftlichen Veränderungen herbeizuführen und die Akzeptanz für weitere Maßnahmen zu fördern.

Darüber hinaus ist die Evaluierung laufender Projekte von großer Bedeutung, um Erkenntnisse aus den bisherigen Maßnahmen für Auswahl und Entwicklung zukünftiger Maßnahmen und die Weiterentwicklung der Gesamtstrategie zu gewinnen. Eine bessere Wirksamkeitsmessung würde es ermöglichen, effektive Maßnahmen zu stärken und dadurch auch Argumente für die Beantragung von Ressourcen und Unterstützung zu liefern. Der Klima-Beirat ist gerne bereit, hierbei unterstützend mitzuwirken.