Privatisierung des Gänseliesels

Staatsanwaltschaft will mitspielen. Der Vorwurf: Unterschlagung

Geposted von " GöKB, End Fossil: Occupy! Göttingen " am Thursday, April 6, 2023

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Privatisierung des Gänseliesels

Aktivist*innen von End Fossil: Occupy! Göttingen machten am heutigen Samstag um 13 Uhr eine weitere Protestaktion am Gänselieselbrunnen in der Göttinger Innenstadt. Um die globale Privatisierung von Wasserquellen zu kritisieren, privatisiert die Gruppe am Samstag, den 15.07.2023, den Gänselieselbrunnen symbolisch selbst und spiegelt damit den kommerzialisierten Umgang mit der Ressource Wasser wieder. Sie umzäunen den Brunnen und verkaufen, als schicke Geschäftsmenschen verkleidet, das Brunnenwasser des Wahrzeichens in der heißen Mittagssonne für 5,99 Euro pro Flasche.

Staatsanwaltschaft will mitspielen. Der Vorwurf: Unterschlagung

Offensichtlich wollten Polizei und die Staatsanwaltschaft Göttingen gerne mitspielen bei dieser von vielen Passanten amüsiert und erfreut aufgenommenen Aktion. Die Polizei rückte gegen 14:00 Uhr mit sieben Einsatzfahrzeugen an, und beendete die Aktion auf spektakuläre Weise: von sechs der Aktivist*innen wurden die Personalien aufgenommen. Der Vorwurf: Unterschlagung

Damit hat sich das Gänseliesel durch die erhöhte Aufmerksamkeit in der Stadtverwaltung, Politik und Justiz von einem beschaulichen lokalen Wahrzeichen zunehmend zu einem überregional beachteten Kulturdenkmal mit hohem Unterhaltungswert hochgearbeitet. Möglich wurde dies durch die unermüdliche Arbeit der Göttinger Zivilgesellschaft.

Aber es sei hier auch auf die noch weitgehend unbekannte Gefahr hingewiesen, die sich für Passanten ergibt, die sich unter Hitze des Klimawandels über die erfrischende Wirkung des kühlen Brunnenwassers erfreuen wollen. Trotz der schlechten Qualität des Wassers handelt es sich offensichtlich um den Tatbestand der Unterschlagung, sobald die im Brunnen erfrischte Hand dort wieder herausgenomen wird. Diese weitere Verrechtlichung im öffentlichen Raum ist somit auch gleich ein herber Rückschlag für die Klimaanpassungs-Bemühungen der Stadt.

Privatisierung_des_Gänseliesels

Abgefüllt in halbwegs sauberen Plastikflaschen, Qualität: nicht einwandfrei.

Mit diesem Handzettel wurden die Passanten über Geschäftsmodell und Produktqualität informiert.

Guten Tag,

Ganz schön warm heute, oder? Wem gelüstet es da nicht nach einem frischen, kühlen Schluck Wasser?

Das ist ab heute ganz komfortabel hier direkt am Gänseliesel möglich, denn wir, die Aridé AG, verwöhnen Sie mit einem unschlagbaren Angebot:

Kaufen Sie jetzt frisch abgefülltes Wasser direkt aus dem Gänselieselbrunnen für nur 5,99 € pro Liter!

Unser Unternehmen verfolgt seit langem das ehrliche Ziel, mit möglichst hohen Profiten einen luxuriösen Lebensstandard für unsere Mitarbeitenden zu schaffen. Das funktioniert jedoch nur mit ausgefeilten Geschäftsmodellen. Wasser erscheint uns diesbezüglich eine sehr profitable Ressource zu sein und eignet sich deshalb bestens für unsere wirtschaftlichen Aktivitäten. Während die Süßwasserreserven der Erde immer knapper werden, steigt gleichzeitig der Bedarf danach aufgrund immer häufigerer Hitzeperioden an. Insgesamt haben weltweit rund 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer sicheren Trinkwasserversorgung. Diese Kombination aus kleinem Angebot und großer Nachfrage lässt unsere Unternehmer*innenherzen naturlich schneller schlagen: Das perfekte Geschäft! Aus diesem Grund haben Wir das Ganseliesel mitsamt dem sich darin befindenden Wasser privatisiert und das Grundbedürfnis und Menschenrecht nach Wasser kommerzialisiert.

Natürlich bedenken wir bei unseren Geschäftsmodellen auch stets die moralische Legitimation unserer wirtschaftlichen Aktivitäten. Im Fall der hiermit stattfindenden Privatisierung und Kommerzialisierung des Gänseliesel-Wassers sehen wir darin jedoch keine Hindernisse, da wir uns stets an internationalen Vorbildern anderer ehrlich agierender Unternehmen orientieren. Ein Beispiel nehmen wir uns unter anderem an dem sympathischen Familienbetrieb Nestlé, der bis dato bereits in mehreren Ländern in unterschiedlichem Ausmaß Wasserrechte erworben hat. Das Wasser wird vom Konzern abgezapft und dann zu deutlich teurerem Preis verkauft. So zum Beispiel in Äthiopien, einem Land, das von Dürre geprägt ist und dessen Bevölkerung in großen Teilen unter Armut leidet. Aber auch Chile dient als starkes Exempel, wie mühelos die Privatisierung von Wasser und dem Grundwasserzugang erfolgen kann. Dort befinden sich nahezu 100 Prozent der Wasserrechte in den Händen einiger weniger Großunternehmen. Die Konsequenz für diejenigen‚ die sich den Erwerb des Wassers nicht leisten können, liegt auf der Hand: Wer nicht zahlt. dem wird der Hahn ganz einfach zugedreht. Wir von Aridé arbeiten mit denselben fairen Standards.

Für Sie zapfen wir ehrlich und transparent das Wasser ab, unter dem Motto: Gut für dich, gut für die Natur und gut für uns natürlich.

Die Einschätzungen von End Fossil: Occupy! Göttingen

„Seit 2010 ist der Zugang zu sauberem Wasser Grundrecht des Menschen. Dass dies durch ökonomische Interessen verhindert wird, darf nicht sein. Konzerne wie Nestlé, Veola oder Coca-Cola und viele weitere profitieren weltweit maßgeblich durch privatisierte Wasserquellen und zerstören mit Hilfe von Institutionen wie der Weltbank, des IWF und Freihandelsabkommen Umwelt und Lebensgrundlagen“, sagt Ruth Sekura von End Fossil: Occupy! Göttingen.

Die immer heißer werdenden Sommer, die selbst hierzulande anhaltende Dürre und Starkregenfälle, bleiben keinem verborgen. Die Überschwemmung im Ahrtal 2021, wie zuletzt in Braunschweig und Kassel im Juni sind in ihrem vermehrten und stärkeren Auftreten weitere Belege, dass mit Extremwetterereignissen gerechnet werden muss. Die sieben Tage vom 04. bis zum 10. Juli 2023 waren die sieben heißesten Tage, seit Beginn der Wetteraufzeichnung.

Dass ein großer Teil der weltweiten Süßwasserressourcen im Privateigentum großer Firmen liegt, die es für teures Geld verkaufen können, trägt dabei zusätzlich zu einer globalen Ungerechtigkeit bei. So werden mehr als 80% des Wassers in Chile durch den auf Exporte ausgerichteten Agrarsektor verbraucht. In der trockenen kolumbianischen Provinz La Guajira verschlingt ein Steinkohletagebau täglich 30 Millionen Liter Wasser. Der Großteil der Kohle wird nach Deutschland exportiert. Die Nutzung des knappen Trinkwassers wird an Profitinteressen von Firmen aus dem Globalen Norden ausgerichtet, statt an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort.

Sauberes Trinkwasser ist lange nicht mehr selbstverständlich, das muss auch die Stadt Göttingen verstehen. Um die Stadt vor den Folgen von Dürren, Hitzewellen und Starkregen zu schützen fordert End Fossil: Occupy! Göttingen mehr Begrünung, Wasserauffangbecken, Entsiegelung und öffentliche Wasserspender in der Stadt.

„Mit dem Gänseliesel haben wir offensichtlich einen Nerv der Stadtverwaltung getroffen. Klimakrise heißt auch, dass Kulturgüter gefährdet sind, Überschwemmungen werden zunehmend weitere historische Wahrzeichen zerstören und erhöhte Temperaturen werden an die Substanz dieser „kulturellen Erbe“ gehen. Für mich steht das in keinem Verhältnis zu dem humanitären und ökologischem Leid, aber wenn es dazu dient, die Stadtverwaltung umzustimmen, muss das arme Gänseliesel eben herhalten“, so Jonathan Groß.

Bereits in den letzten Wochen gab es durch die Letzte Generation und eine weitere unbekannte Gruppe zwei Protestaktionen gegen Umweltzerstörung und gegen die Aushebelung des Asylrechts am Gänseliesel. Das Gänseliesel wird die Aktion von End Fossil im Gegensatz zur Klimakrise unbeschadet überstehen.

End Fossil: Occupy! Göttingen und Ulrich Schwardmann vom Göttinger Klimabündnis