Es ging um Symbole

Fünf Klimaaktivisten nach Schwarzfärbung des Gänseliesels zu Geldstrafen verurteilt

Geposted von " GöKB, U. Schwardmann " am Friday, October 20, 2023

Inhalt

Die Schwarzfärbung des Gänseliesels

Die Aufregung um die Aktion der Letzten Generation zum Start des Klimaschutzmarktes am 17.6.2023 war groß. Ein derartiger Angriff auf das Wahrzeichen der Stadt Göttingen hat die Gemüter erhitzt. Die Stadtverwaltung zeigte ich empört, das Göttinger Tageblatt sekundierte diese Stimmung gern. Ein Leser des Tageblattes schreibt gar, dass das meistgeküsste Mädchen der Welt plötzlich von irregeleiteten Banausen, die vor nichts mehr zurückschrecken, geschändet wurde.

Die Aktion im Gänseliesel war im Gegenteil sehr präzise gewählt. Sie zielte auf die weitgehende Untätigkeit der Stadt in Sachen Klimapolitik und fand dementsprechend am Tag des städtepolitischen Feigenblatts der Stadt, dem Klimaschutzmarkt statt. Die Symbolik war perfekt orchestriert und hatte so die Politik der klimapolitischen Verantwortungslosigkeit der Stadt punktgenau getroffen. Das war wohl der eigentliche Grund für die Aufregung.

Ohne auf die Aktion Bezug zu nehmen lässt dann Frau Broistedt nach ein paar Tagen Sympathien für die Anliegen der Gruppe erkennen, und das Göttinger Tageblatt erklärt, dass die Politik seit Jahrzehnten zu langsam in Sachen Klimaschutz war und nun dringender Handlungsbedarf bestünde. All das ist inzwischen heraus aus den Schlagzeilen, die klimapolitische Lage ist eher noch schlechter geworden.

Gerichtliches Nachspiel vor dem Amtsgericht

Am 24.1.2024 war das Verfahren mit dem Urteil. Die Strafe für die Angeklagten orientiert sich mit 900 Euro für fünf Personen verdächtig genau an den 4565 Euro, die für die Beseitigung des Schadens von der Stadt genannt wurden. Und dies obwohl auch vom Richter anerkannt wurde, dass die Rechnung für die Beauftragung eines aufwendigen Schadstoffbeseitigungsdienst völlig unsinnig war. Die Polizei wusste nämlich schon vor Ort, dass es sich um harmlose Aktivkohle als Beimischung handelte Die tatsächlichen Kosten für die Reinigung hatten nur ca. 500 Euro betragen. Damit hätten die Kosten einer vorgezogenen routinemäßigen Reinigung des Gänselieselbrunnnens entsprochen. Die Rechnung der Stadt war künstlich um fast das zehnfache aufgebläht worden, um überhaupt einen ernstzunehmenden Strafantrag gegen die Verkünder der peinlichen Wahrheit stellen zu können.

Legitimität

Im Prozess ging es aber auch genau um die Fragen, inwieweit dieser Aktion ein politischer Missstand zugrunde liegt, dass auf diesen Missstand über Symbolik hingewiesen werden sollte und wieweit dafür die Symbole richtig gewählt waren. Es ging also um die Legitimität hinter den rechtlichen Fragen.

Das Märchen vom Fischer und seiner Frau sollte diesen Zusammenhang darstellen. Es ist in seiner düsteren Symbolik allgemein bekannt, benennt die Hybris der persönlichen Selbstüberhöhung und nutzt dabei das schwarze Wasser als Symbol für eine drohende Gefahr. Der Antrag, auch wenn er abgelehnt wurde, passte also sehr genau auf die Aktion, den Missstand der Klimakrise und die klimapolitische Untätigkeit der Stadt.

Ulrich Schwardmann, GöKB

Der Beweisantrag einer Mitangeklagten

LG_Erdöl_statt_Wasser

In der Strafsache/Bußgeldsache NZS 33 Ds 301 Js 27576/23 (295/23)

beantrage ich, Beweis zu erheben über die Tatsache, dass schwarzes Wasser ein Symbol für eine drohende Gefahr ist.

Beweismittel:

Verlesung des Märchens „Vom Fischer und seiner Frau“ der Brüder Grimm, angehängt.

Begründung

Durch die Verlesung des Märchens „Vom Fischer und seiner Frau“ wird beispielhaft die tradierte Symbolik von schwarz gefärbten, öligen Wassers als Vorbote der Gefahr, alles Errungene zu verlieren, aufgezeigt.

Im genannten Märchen wünscht sich eine Fischersfrau immer mehr zu haben, herbeigezaubert von einem magischen Butt im Meer. Der Fischer selber ist Bote ihrer Wünsche. Als sie bereits Königin war, sich aber wünschte, Kaiserin zu werden, heißt es:

„Als der Mann aber hinging, war ihm ganz bang; und als er so ging, dachte er bei sich: Das geht und geht nicht gut: Kaiser ist zu unverschämt, der Butt wird’s am Ende leid. Inzwischen kam er an die See. Da war die See noch ganz schwarz und dick und fing an, so von unten herauf zu schäumen, daß sie Blasen warf; und es ging so ein Wirbelwind über die See hin, daß sie sich nur so drehte. Und den Mann ergriff ein Grauen.“

Sucht man in der Literatur nach dem Symbol der Farbe Schwarz, liest man immer wieder folgende Assoziationen: Traurigkeit, Gefahr, Tod. Das Verlöschen aller Farben. Wasser dagegen wird als tragende Ursubstanz aller Existenz gesehen, aus der alles Leben einmal entstanden ist. Tatsächlich gibt es ohne Wasser kein Leben. Betrachtet man nun den Symbolausdruck einer Schwarzfärbung von Wasser, liest man daraus eindeutig „Bedrohte Existenz“ und „Lebensgefahr“.

Die Fischersfrau, ein Symbolausduck des Kapitalismus, verlangt ein Lebens in Reichtum und Macht. Immer mehr muss sie haben und kann es nicht aushalten, mit weniger zufrieden zu sein. Die Forderungen an die arbeitende Bevölkerung, dargestellt als Fischer, ist es, mehr und mehr Wohlstand bis hin zum Überfluss zu schaffen. Sicher hausend in ihrem Palast, muss sich die Frau in ihrer Machtposition mit den katastrophalen Folgen ihrer Entscheidungen nicht konfrontieren.

Im Fall der Klimakatastrophe entscheidet unsere Bundesregierung über wichtige Maßnahmen. Die Folgen darf unsere Bevölkerung, vor allem aber die Bevölkerung des globalen Südens auskosten. Uns - ihnen - dem Fischer, bleibt keine andere Wahl. Sie können teilweise dem versprochenen Wohlstand bis hin zu Luxus nicht widerstehen, und wissen in ihrer Machtlosigkeit die Katastrophe auch nicht zu verhindern. So leben Menschen in Angst, und ihnen wird kaum eine Alternative geboten als die Ausbeutung der Natur im Alltag, an der sie schlussendlich selbst leiden.

Als das Meer seine Farbe ändert und immer bedrohlicher wird, zuletzt immer dunkler und zerstörerischer, so wächst die Angst des Fischers, wenn er zum Wasser geht. Als er den Wunsch, Papst zu werden, vortrug,

„wurde ihm ganz bang zumute, und er ging hin, aber ihm war ganz flau dabei; er zitterte und bebte, und die Knie und Waden schlotterten ihm.“

Aufgelöst wird die Erzählung damit, dass sich die Fischersfrau wünscht, Gott zu werden:

„Draußen aber ging der Sturm und brauste, daß er kaum auf den Füßen stehen konnte. Die Häuser und die Bäume wurden umgeweht, und die Berge bebten, und die Felsenstücke rollten in die See, und der Himmel war ganz pechschwarz, und es donnerte und blitzte, und die See ging in so hohen schwarzen Wogen wie Kirchtürme und Berge, und hatten oben alle eine weiße Schaumkrone auf. Da schrie er, und konnte sein eigenes Wort nicht hören:

“Männlein, Männlein, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, Meine Frau, die Ilsebill, Will nicht so, wie ich wohl will.”

“Na, was will sie denn?” sagte der Butt. “Ach,” sagte er, “sie will werden wie der liebe Gott.” - “Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in der Fischerhütte.” Da sitzen sie noch bis auf den heutigen Tag.“

Während der Mensch nach immer höherer Macht strebt, vergiftet er seine eigene Umgebung. Das schwarze Wasser ist von großer Wichtigkeit, um die enormen Misstände sichtbar zu machen. Es ist als deutliche Warnung vor der Gefahr des Verlusts aller Annehmlichkeiten, sowohl als auch wichtiger Lebensgrundlagen erkenntlich. Ganz selbsterklärend wird deutlich, dass ein solches unverantwortliches Handeln keine Zukunft hat.

Relevanz:

Die Schwarzfärbung des Wassers des Gänselieselbrunnens bedient sich der traditionellen Symbolik schwarzen Wassers für die drohende Gefahr, alles zu verlieren.

Zusätzlich ist hierbei das schwarze Wasser selber, und die sämig anmutende Konsistenz der auf dem Gänseliesel, der Kleidung und den Brunnenmauern verschmierten Farbe eine artistische Nachahmung von Öl. Das Verbrennen von Öl, und anderen fossilen Energieträgern, sorgt für die sich unablässig zuspitzende Klimakatastrophe. Die Klimakatastrophe birgt das Risiko, dass wir alles verlieren, was uns lieb und teuer ist. Die Förderung von Öl ist also, im Juni 2023 als schwarze Flüssigkeit im Brunnen bildsprachlich vergegenwärtigt, als gegenwärtige Gefahr den Göttinger:innen sichtbar gemacht worden.

Als drittes bildsprachliches Element: Die Eindämmung der Klimakatastrophe ist, wie auch der Gänselieselbrunnen im Zentrum Göttingens steht, die zentrale Herausforderung unserer heutigen Gesellschaft.

Als viertes bildsprachlich-metaphorisches Element steht die Selbstüberschüttung mit der Öl imitierenden Farbe: Wir Menschen selber fügen uns den eigenen Schaden, der aus der Öl- Verbrennung rührt, zu.

Als fünfter artistisches Ausdrucksmoment: Wir stehen knietief in der Klimakatastrophe. Durch die Schwarzfärbung des Gänselieselbrunnens und ihrer weit verbreiteten medialen Bild- Berichterstattung wurde dieser Inhalt vielen Menschen kommuniziert.

Die Färbung des Brunnens mit unschädlicher, wasserlöslicher, schwarzer Farbe ist also eine nach Artikel 5 Grundgesetz, der Ausdrucksfreiheit von Kunst, geschützte Handlung gewesen. Eine Kriminalisierung dieser schadlosen, vorübergehenden, ausdrucksstarken Bildsprache steht außer Option. Das Beweismittel ist geeignet die zu beweisende Tatsache zu bestätigen.

Ich beantrage hierzu einen schriftlichen, verlesenen Gerichtsbeschluss.

Das Märchen im Original

https://www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/von_dem_fischer_un_seiner_frau